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Nikola Materne

11) Sommervibes - Finde deine innere Balance durchs Singen


Intro


Hallo liebe singfreudige Menschen, im letzten Blog vor meiner Sommerpause geht es um die innere Balance, die du durchs Singen bekommen bzw. wiederfinden kannst, wenn du sie, z.B. im Alltagsstress, verloren hast.


Wenn du dich wunderst, wo Folge 10 geblieben ist: Ich mache die Blogfolgen ja immer parallel zu meinen Podcastfolgen und Folge 10 war da ein Gespräch mit der Sängerin, Songwriterin und Produzentin Jasmina de Boer, das ließ sich leider nicht „verbloggen“.


Also Sommer…draußen ist es grün, alles fühlt sich, zumindest für diesen Moment, wieder normaler an und man kann sehen wie die Menschen es genießen, wieder einfach mal irgendwo zusammen ein Bier oder einen Kaffee zu trinken. Viele machen Ferien, die Sonne entschleunigt – und diese Sommervibes möchte ich gerne für das Singen aufgreifen.


Singen ist so schön, Singen ist verzierter Atem, eine poetische Formulierung, die ich kürzlich in dem spannenden Buch „Die Philosophie des Singens“ von Bettina Hesse gelesen habe. Singen gleicht aus, entspannt da, wo Stress und Anspannung ist, belebt da, wo Schlappheit ist. Singen verbindet, die Singenden mit den Zuhörenden, aber auch mit sich selbst. Man fühlt die Schwingung im Körper, der Atem wird tiefer, die Gehirnwellen verändern sich. Singen ist Kunst, die jeder überall machen kann. Und Singen verbindet mit den Emotionen, man nimmt sich selber mehr wahr und hat die Möglichkeit, allen Emotionen einen Ausdruck zu verleihen. Ihr merkt, ich liebe das Singen und teile diese Leidenschaft mit sehr vielen anderen Menschen. Vielleicht auch mit Dir? Bist du auch dieser Passion total verfallen und begeistert? Oder plagen dich Selbstzweifel, Ängste und Hemmungen beim Singen? Egal, wo du stehst, möchte ich dich hier ermuntern, natürlich grundsätzlich, aber auch in diesen hoffentlich auch für dich relaxteren Sommermonaten, all die schönen Seiten des Singens in den Vordergrund zu stellen. Und damit das für dich ganz praktisch greifbar und machbar wird, habe ich auch diesmal wieder viele konkrete Tipps.



Das Gehirn mit Phantasie balancieren – Die W-Fragen


Du kennst bestimmt diesen Alltagsgroove: Termine einhalten, an Rechnungen denken, einkaufen, E-Mails schreiben usw. Das alles erledigen wir vor allem mit der linken Gehirnhälfte. Sie ist zuständig für logisches und analytisches Denken, für Zeiteinteilung, für Realitätsorientierung und fürs Kommunizieren, also superwichtig fürs Leben! Aber oft gibt es in unserem Leben eine starke Überbetonung dieser Skills.


Die rechte Gehirnhälfte hingegen denkt kreativ und intuitiv. Dort sind wir emotionaler und phantasievoller unterwegs, weniger zeit- und planungsorientiert. Die Fähigkeiten beider Gehirnhälften machen den ganzen Menschen aus, eine Dysbalance jedoch fühlt sich nicht gut an. Viele spüren einen Mangel, können ihn aber gar nicht so richtig benennen. Das durchgetaktete Leben wird irgendwie grau und fad. Um das Gehirn wieder in Balance zu bringen, ist Singen ein wunderbares Mittel, denn die Gehirnaktivität fürs Singen und Musikmachen findet überwiegend in der rechten Gehirnhälfte statt! Singen kannst du einfach so, wie es dir Spaß bringt, also Summen im Wald, Schmettern in der Badewanne, Session mit Freunden, Bandprobe im Proberaum, Karaoke, Auftreten usw.


Willst du deine rechte Hirnhälfte noch ein bisschen gezielter aktivieren, dann rege auch deine Phantasie an und kreiere innere Bilder für die Songs, die du singst. Dabei können dir die so genannten „W-Fragen“ helfen, mit denen du eine komplette Story für deinen Song erfinden kannst, so, als wäre der Song eine Szene in einem Film.

Das sind Fragen wie:

Wer bist Du?

Was ist los?

Wo spielt der Song?

Wer ist um Dich herum?

Wen sprichst Du an?

Wann spielt der Song?

Wie ist dein Gefühl?


Ich gebe mal ein Beispiel von einem Song, den ich mit einer Schülerin, ich nenne sie hier Ina, auf diese Art in der Phantasie zum Leben erweckt habe, dann kannst du dir das glaube ich besser vorstellen. Ich nehme hier extra einen Beispielsong den wahrscheinlich fast jeder kennt, nämlich „Ain’t no sunshine“ von Bill Withers. Wenn du direkt mitmachen möchtest, dann höre gleich erst mal auf zu lesen, nimm dir ein Blatt Papier und phantasiere dir mit Hilfe der W-Fragen eine Geschichte zu dem Song zusammen, die dich berührt. Bist du du selbst oder spielst du eine Rolle? Was ist vor dem Song passiert, wie geht es nach dem Song weiter? Wo spielt die Szene, wie sieht alles aus, wer ist mit dabei? Wer ist oder wer sind deine Ansprechpartner? Wann spielt der Song und wie fühlst du dich? Falls du den Text nicht so parat hast, dann such ihn dir heraus und übersetze ihn, bevor du mit deiner Geschichte anfängst.



Hier Inas Story: Ina kennt das Gefühl, jemanden zu vermissen aus einer früheren langen unglücklichen Fernbeziehung, zurzeit ist sie aber sehr zufrieden ohne Beziehung. Deshalb möchte sie nicht selber die Protagonistin in dem Phantasie-Filmsetting spielen, sondern stellt sich vor, ein berühmter Popstar wie Adele zu sein. Alter und Aussehen stimmen aber mit Inas realem Ich überein. Sie hat sich ihre Bühnenklamotten ausgezogen, sich abgeschminkt und trägt jetzt bequeme simple Kleidung, die Haare sind offen. Sie ist auf Tour und wird überall gefeiert, aber sobald sie alleine ist, fühlt sie sich einsam und sehnt sich nach ihrem Freund. Jetzt ist sie nach einem Konzert in ihrem supermodernen, stylischen Hotelzimmer, die Lichter im Zimmer sind aus, sie sitzt am großen Panoramafenster in einem hohen Stockwerk und schaut auf die Lichter einer Großstadt. Sie hat keinen Ansprechpartner, sondern spricht mit sich selbst. Der Song spielt in der heutigen Zeit, mitten in der Nacht, der Himmel ist sternenklar, es ist angenehm warm. Sie ist erschöpft, kann aber trotzdem nicht schlafen, sie denkt an ihren Freund, der schon den ganzen Abend nicht erreichbar war und sich in den letzten Tagen immer mehr von ihr distanziert hat. Sie fühlt sich allein gelassen, traurig, etwas eifersüchtig, sehnsüchtig, etwas wütend, ausgebrannt.


Diese Bilder hat meine Schülerin gefunden, sie sind also ganz individuell, denn jeder hat seine eigenen inneren Bilder, es gibt da kein falsch oder richtig! Deine Filmstory zu dem Song ist wahrscheinlich ganz anders. Innere Bilder entstehen aus der Phantasie, sie können komplett erfunden sein, sich aber auch ganz oder teilweise aus eigenen Erlebnissen zusammensetzen. Vielleicht fließt etwas aus dir bekannten Filmen oder Büchern mit ein oder aus Alltagsbeobachtungen und Geschichten, die dir andere Leute erzählt haben.


Kurzer Werbeblock: Wenn du noch tiefer in die W-Fragen und viele Übungen drumherum eintauchen möchtest, dann empfehle ich dir mein Buch „Live Your Song!“!



Das Gehirn mit Kreativität balancieren - Improvisation


Ein weiteres super Tool, um die rechte Hirnhälfte anzuregen, ist Improvisation. Wenn du gar nicht weißt, wie das geht, dann hier ein Tipp: Gebe bei Youtube „Karaoke“ ein und wähle einen Song aus, den du nicht kennst. Jetzt kannst du einfach auf „lala“ oder „dudu“ irgendwas dazu singen. Wenn es Lyrics zum Song gibt, die mitlaufen, dann probiere mal, eine Melodie selber zu erfinden. Wichtig dabei: Alles nur aus Spaß, kein Leistungsdruck! Am besten hört auch niemand zu. Ich mache das total gerne und bin dann immer überrascht, wenn ich mir den Originalsong anhöre. Wenn du noch mehr Anregungen zu diesem Thema möchtest, kannst du dir ja mal die Folge mit dem Titel „Improvisation“ aus diesem Podcast anhören.



Durch Emotionen ausbalancieren


Ganz wichtig, um durchs Singen wieder in Balance zu kommen, sind natürlich auch Emotionen, also einmal die Emotionen des Songs, die durch unsere Bilder fast automatisch geweckt werden. Aber auch solche wie Freude am Singen, Verbundenheitsgefühle, Liebe usw. Wer nicht in Gehirnhälften denken möchte, dem liegt die Vorstellung von Kopf/Verstand auf der einen und Herz/Bauch auf der anderen Seite vielleicht mehr. Beides ist wichtig, aber nach viel verstandesorientiertem Funktionieren im Alltag fehlt vielleicht ein Ausgleich, der das Herz berührt oder ein Impuls, der aus dem Bauch kommt. Dabei kann das Singen wunderbar unterstützen.


Manchmal nimmt man dadurch, dass man beim Singen wieder mehr zu sich kommt, die eigenen aktuellen Gefühle wieder mehr wahr. Die sind zwar nicht unbedingt immer schön, für eine innere Balance ist es dennoch wichtig, sie zu spüren und zu erkennen. Vielleicht findest du ja sogar einen Song, der zu dem Gefühl passt, das dich im Augenblick bewegt. Ich kenne es z.B., dass ich traurig bin, das Gefühl aber irgendwo noch feststeckt, weil ich es weggeschoben habe, um alles gut hinzubekommen. Dann ist es sehr hilfreich, richtig traurige Songs zu singen und dabei ruhig mal die Tränen fließen zu lassen. Kennst du diese witzige Szene zu Beginn des ersten Bridget Jones-Films, in der Bridget sich zuhause ganz wahnsinnig selbst bemitleidet und den Song „All by myself“ mitsingt? Kannst du bei Youtube finden…Ungefähr so…Und wenn ich sauer bin, ist mein absoluter Lieblingssong zum Mitgrölen „Killing In The Name“ von „Rage Against The Machine“.



Vom Kopf in den Körper


Von der Phantasie und Kreativität über die Emotionen geht es zu einem weiteren Schlüssel zu mehr Balance, nämlich dem Körper. Das heißt raus aus dem puren Kopfgewimmel (z.B. durch viel Reden, Computern, Nachdenken, Glotzen, Handydaddeln) und rein in den Körper. Singen ist ja sowieso ein total körperlicher Vorgang mit Nervenimpulsen, Muskelan- und abspannung und Koordination. Den Treibstoff fürs Singen holen wir uns über die Atmung, die Stimme entsteht durch Gewebeschwingung, die durch den ganzen Körper resoniert und verstärkt wird.


Nimm deinen Körper beim Singen wahr: Was fühlt sich gut an, was ist verspannt oder schmerzt? Können deine Gelenke sich beim Singen bewegen? Wie fühlen sich deine Knie an? Wo ist dein Gewicht auf den Füssen? Was machen deine Schultern? Verkrampft sich deine Stirn? Kneifst du die Augen zusammen? Was machen die Hände? Beweg dich beim Singen, das muss nicht schön aussehen! Du kannst tanzen, du kannst aber auch die Schultern kreisen oder dich recken und strecken. Massier dich selbst, schüttle dich, laufe, hüpfe. So kannst du deine Alltagsverspannungen etwas lösen, aber auch Verspannungen, die sich beim Singen bemerkbar machen. Meiner Erfahrung nach haben viele Leute einen „Gesangskörper“ und ein „Gesangsgesicht“, also Bewegungen, Haltungen und Mimik, die beim Singen automatisch abgerufen werden. Kommt dir das bekannt vor? Versuch mal, diese Gewohnheiten durch die oben genannten Bewegungen etwas aufzulösen.


Du kannst hier auch wieder deine Songgeschichte zur Hilfe nehmen: Was macht die Person in deiner Story? Geht, steht, sitzt oder liegt sie? Welche Blicke und welche Mimik hat deine Phantasieperson? Was machen die Hände? Mach das wirklich, während du den Song singst. Falls dir das Spaß hat, findest du auch hierzu in meinem Buch zahlreiche Übungen, die noch viel mehr ins Detail gehen.



Spaß statt Selbstoptimierung


Mein letzter Tipp: Wenn du immer viel an deiner Stimme feilst und bastelst, wenn du oft unzufrieden bist und ständig was an deinem Gesang verbessern willst, dann mach doch auch mal in dem Punkt Ferien und gib dem Spielerischen, Lustvollen und Kreativen des Singens mehr Raum. Sing, was dir Spaß macht, auch wenn es vielleicht noch nicht perfekt klingt. Leider ist das Singen inzwischen, wie vieles andere auch, ein Objekt der Selbstoptimierung geworden. Üben ist super, aber wenn du dabei zu verbissen wirst, hört man das leider auch an der Stimme, die spiegelt nämlich oft ziemlich deutlich die Verfassung des/der Singenden wider. Das heißt, man hört, ob du dich unter Druck setzt und unzufrieden bist oder ob du deine Stimme frei lässt und das Singen genießt.


Schon allein deshalb lohnt es sich als Sänger*in, sich um sich selbst freundlich und fürsorglich zu kümmern. Deine Stimme wird es dir danken.


Und weil ich meinen eigenen Tipps treu bleiben möchte, mache ich bald eine Sommerpause zum Regenerieren. Danach beginnt für mich ein spannendes Theatermusikprojekt, für das ich viel arrangieren und kreieren und natürlich auch singen werde. Darauf freue ich mich schon total! Wie oft ich in der Zeit bloggen/podcasten werde, weiß ich noch nicht, es wird aber auf jeden Fall in Zukunft weitere Folgen geben, ich hoffe, du bist dann auch wieder dabei. Erst mal herzlichen Dank fürs Lesen, ganz viel Spaß beim Singen und ich wünsche dir einen wunderbaren Sommer!







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