Hallo und Herzlich willkommen, ich bin Nikola Materne, Sängerin und Songwriterin und seit über 25 Jahren Gesangscoach. Ich gebe Einzelunterricht für Anfänger bis zum Profi, trainiere Sänger*innen fürs Studio und die Bühne, bereite auf Aufnahmeprüfungen und Castings vor und coache Bands und Chöre. Außerdem bin ich an der Musikhochschule Münster Dozentin für das Hauptfach Popvocals
Ich hoffe, dass ich dir hier ein paar wertvolle Tipps, Ideen und Gedanken mitgeben kann, die dir helfen, ausdrucksstark zu singen. Vielleicht bekommst du auch einfach einen positiveren und entspannteren Zugang zum Singen oder neue, kreative Ideen.
In dieser 1. Folge, geht es um die Frage, was ausdrucksstark singen überhaupt bedeutet
Ich habe mal nach ein paar Wörtern gesucht, die eine ganz ähnliche Bedeutung wie „ausdrucksstark“ haben, das sind z.B. Wörter wie deutlich, überzeugend, bedeutungsvoll, zugänglich, greifbar, aber auch charismatisch, farbig, expressiv, emotional.
Es geht darum, die Gefühle, Bilder und Stimmungen eines Songs in allen Nuancen zu erfassen und nachzuempfinden und dann den Zuhörern überzeugend und zugänglich zu vermitteln.
Es gibt dabei eine Verbindung zwischen dem Singenden mit seiner Persönlichkeit und dem Song mit seinem emotionalen Inhalt. Dieses Gefühlspaket schickt der Sänger/die Sängerin dann zum Zuhörer und stellt mit diesem dadurch auch eine emotionale Verbindung her. Das ist ein ungemein spannender Vorgang und sooo viel mehr als einfach nur die richtigen Töne zur richtigen Zeit mit der richtigen Technik zu singen. Umso erstaunlicher finde ich, dass dieser Vorgang den meisten Singenden gar nicht oder viel zu wenig bewusst ist. Einige machen das alles ganz intuitiv schon toll, aber viele viel zu wenig und dadurch fehlt dem Gesang das gewisse Etwas, der Gefühlsfunke springt nicht richtig über.
Ich selber bin da auch einen langen Weg gegangen. Als Teenager in meinen ersten Bands war ich noch sehr schüchtern, das hab’ ich dann nachher mit Bewegungen und Show kompensiert. Meine ersten Studioaufnahmen klingen zwar ganz gut gesungen, aber stinklangweilig. Irgendwann habe ich mich schon mehr getraut, etwas von mir zu zeigen, der Gesang wurde schon etwas berührender, aber das Ganze war noch sehr diffus. Beim Nachsingen habe ich auch oft die Emotionalität der Originalsängerin nachgeahmt oder nachgefühlt. Durch tollen Gesangs- und Schauspielunterricht und eigene Erforschung des Themas bin ich immer ausdrucksstärker geworden.
Für mich ist das ausdrucksstarke Singen, das Singen mit Herz und Seele, sogar der Schlüssel zum guten Gesang geworden. Immer wieder merke ich, dass ich von diesem Weg abgelenkt werde, z.B. wenn ich Lampenfieber habe, wenn ich mit dem Sound nicht zufrieden bin, wenn ich zu sehr mit meinem Stimmklang beschäftigt bin usw. Dann versuche ich, mich bewusst wieder auf den Song einzulassen und mich richtig reinzufühlen, das löst dann viele Schwierigkeiten auf und ich komme wieder zu mir und der Musik. Und der Weg zu mehr Ausdruck beim Singen ist meiner Ansicht nach auch nie zu Ende, da gibt es immer noch was zu entdecken und noch ein Stückchen tiefer einzutauchen. Um es Dir auf diesem Weg etwas leichter zu machen, möchte ich meine Erfahrungen und Erkenntnisse weitergeben.
Bei dem Stichwort „ausdrucksstark Singen“ denken die Leute oft auch erst mal an eine Liebesballade oder ähnliches, aber ich finde, dass jeder Song einen emotionalen Gehalt hat. Klar, bei einer Liebesballade gibt es jede Menge Gefühle, die sehr expressiv nach draußen getragen werden. Aber es kann auch um ein entspanntes Sommerfeeling gehen, um Wut, um Neid, um freundschaftliche Gefühle, Coolness usw. Es können sehr intensive Gefühle sein oder ganz leichte, seichte, es können laut herausposaunte sein oder welche, die ganz unterdrückt irgendwo schwelen. Aber einen Gesang, der ausdruckslos ist, will man doch eigentlich in keinem Song hören.
Für mich persönlich, sowohl als Sängerin als auch als Vocalcoach, ist das ausdrucksstarke Singen auf jeden Fall mein absolutes Lieblingsthema. Ich finde zwar Stimmtechnik, Gehörbildung, und so weiter auch super wichtig, aber mein Herz geht auf, wenn ich selber das Gefühl habe emotional und ausdrucksstark zu singen und ich auch spüren kann, dass das bei meinem Publikum ankommt. Oder wenn ich es im Unterricht schaffe, einen Sänger oder eine Sängerin dabei zu unterstützen, einen Song mit viel Emotion zu singen. Das gibt dann immer wieder Gänsehautmomente, weil die Leute dann so berührend singen, das macht total Spaß, sowohl den Singenden als auch mir.
Was für Grundvoraussetzungen brauchst Du als Sänger *in fürs ausdrucksstarke Singen?
Also erst mal ganz schnöde: Du solltest den Song, den du singen willst am besten auswendig singen können, damit du im Kopf nicht mit solchen Dingen wie Textsuche, Melodieunsicherheit, Rhythmusfragen usw. beschäftigt bist. Mach dich richtig vertraut mit deinem Song! Wenn du Probleme mit dem Auswendiglernen hast, kannst Du Dir ja beim Proben den Text irgendwo gut sichtbar an die Seite stellen, aber nur für Notfälle, damit du nicht so am Textblatt klebst.
So, und jetzt brauchst du eine Verbindung zu dir selbst!
Diese Verbindung verliert man ja häufig mal im Laufe des Alltags. Dann ist man beschäftigt mit allen möglichen Dingen die noch zu erledigen sind oder mit anderen Menschen oder mit Serien gucken oder was auch immer einen im Alltagsleben so ablenkt von einem selbst. Sing ein paar Einsingübungen oder Lieblingssongs und nimm dich dabei wahr: Wie fühlst du dich? Wie fühlt sich dein Körper an? Bist Du müde oder wach, gut gelaunt oder genervt, wo zwickt es, wo fließt es, wie ist deine Grundstimmung? Dabei geht es noch gar nicht darum, etwas zu verändern oder zu verbessern, sondern einfach zu merken, was gerade so los ist. Du kannst was machen, also z.B. deine Schultern kreisen, wenn sie verspannt sind oder den Ärger über jemanden, der dich im Augenblick nervt loslassen, musst Du aber nicht. Man kann wirklich in fast jedem Zustand singen!
Und dann einfach weitersingen, was auch immer dir Spaß macht. Nimm wahr, was dir am Singen gut gefällt, wo du dich richtig wohl fühlst und welche Körperzustände und Gedanken es dir schwer machen. Das könnte zum Beispiel so ein Gedanke sein wie: „Oh, jetzt gleich kommt die schwere Stelle!“ oder „Meine Nachbarn hören bestimmt zu“ oder „Meine Stimme ist viel zu quäkig, zu schief“…. , da könnte ich jetzt noch tausende weitere Miesmachersätze finden. Beobachte einfach, nimm Verbindung auf zu dir, auch zu den unangenehmen Seiten und Gefühlen.
"Was?" schreien bestimmt viele, "aber ich muss doch was verbessern!!" Wie wäre es, diesen Gedanken erst mal über Bord zu werfen? Wäre das nicht sehr erleichternd? Ausdrucksstark zu sein bedeutet nicht, perfekt zu sein, optimiert zu sein, sondern das geht einfach so, mit allem wie und was du bist.
Dann kannst du langsam eine Verbindung zu deinem Song aufbauen, den du singen möchtest. Was gefällt dir an dem Song? Hat er was mit dir zu tun? Worum geht’s? Kannst Du die Geschichte des Songs nacherzählen? Was ist die Hauptemotion des Songs? Gibt es verschiedene Gefühle, gibt es langsame oder schnelle Wechsel dazwischen? Haben diese Gefühle etwas mit dir zu tun? Kennst du solche Gefühle? Wie fühlen sich diese Gefühle im Körper an? Kannst Du dir eine Filmszene vorstellen, die zu dem Song passt?
Wenn diese Verbindungen langsam aufgebaut sind, die zu dir selbst und von dir zum Song, dann kommt der „Tricky Part“ des Ganzen: Nämlich die Frage, was beim Zuhörer davon ankommt. Vielleicht singst du ja im Augenblick nur für dich, dann ist das mit dem Zuhörer ja erst mal egal. Vielleicht merkst du dann, wieviel Spaß es macht zu singen, wenn du dabei nicht nur z.B. an Gesangstechnik denkst oder an irgendwelchen anderen Kram oder wenn du emotional ganz unbeteiligt bist, sondern wenn es diese Verbindung gibt, ich sage mal ganz blumig von deinem Herzen und deiner Seele zum Song.
Wer weitergehen möchte und ein Publikum erreichen will, also dieses Publikum mitreißen und berühren und die Gefühle mitfühlbar machen will, der wird merken, dass, sobald andere Menschen ins Spiel kommen, natürlich vieles vom Geschmack abhängig ist, also davon, was jemand mag und worauf jemand anspricht. Was einer total berührend findet, lässt den anderen kalt, wo einer aufspringt vor Begeisterung, bleibt der andere gelangweilt sitzen. Ob ich eine*n Sänger*in also ausdrucksstark finde, ist sehr subjektiv.
Die Resonanz auf die Emotionen eines Songs kann im Publikum sehr unterschiedlich sein: Die Zuhörer schwingen vielleicht mit in dem Gefühl: „Ja, das kenne ich, da versteht mich einer!“ oder „Wow, hier öffnen sich ganz neue Gefühlswelten, das habe ich noch nie so empfunden“ bis hin zu „Lass mich bloß in Ruhe mit deinen Gefühlen!“. Es gibt auch einen Effekt, den ihr bestimmt aus dem Kino kennt, wo man heult und das aber toll findet: Das Baden in einem Gefühl, auch wenn es so etwas ist wie Trauer, kann guttun und reinigen. Deshalb kann es auch unheimlich Spaß machen, einen oberaggressiven Rocksong zu hören und dazu abzugehen.
Das soll aber nicht heißen, dass sowieso alles wahllos ist, sondern nur, dass du es nicht jedem recht machen oder ganz gezielt Emotionen auslösen kannst. Du kannst versuchen, die Verbindung zum Publikum aufzubauen und dein Paket zu senden, aber mancher Zuhörer macht etwas ganz eigenes daraus - oder will das Angebot einfach nicht annehmen, damit muss man als Sänger und Sängerin leben.
Es kann auch vorkommen, dass du selber dich schon sehr verbunden mit den Emotionen des Songs fühlst und glaubst, dadurch ausdrucksstark zu sein, dass es aber irgendwie noch nicht beim Publikum ankommt, z.B., weil du etwas zu stark senden willst und übertreibst und die Hörer dadurch eher einen Schritt zurück gehen, als sich auf eine Verbindung einzulassen. Dann hilft es, sich als Kanal zu sehen, durch den die Gefühle fließen dürfen und sich selbst etwas zurück zu nehmen. Oder weil du noch zu viele Ängste oder Hemmungen hast, um dich wirklich zu öffnen und dir ein bisschen ins Herz gucken zu lassen, denn das braucht es, um das Gegenüber wirklich emotional zu berühren. Sogar bei einem aggressiven Rocksong! Das ist wie in einem Gespräch oder vielleicht Streit mit einem Freund, das kann auch nicht wirklich nahe gehen und bleibt oberflächlich, wenn ich dabei gar keine Gefühle zeigen mag. Da hilft es, das immer wieder zu üben, also sich vor jedem Auftritt aktiv vorzunehmen, eine Verbindung aufzubauen. Ich finde die Vorstellung dabei sehr hilfreich, dass ich meinen Gesang und meine Songinterpretation an das Publikum verschenke. Und hab vor allen Dingen Geduld mit dir selber, also gib dir Zeit, dich zu entwickeln.
Ausdrucksstark zu singen ist finde ich auf jeden Fall das, was einen richtig guten Sängerin/Sänger ausmacht. Mir persönlich ist das oft wichtiger, berührt und begeistert zu werden, wenn ich einer Sängerin oder einem Sänger zuhöre, als einer tollen Gesangsleistung zu lauschen.
Ich habe vor Kurzem bei Instagram und Facebook eine Umfrage gemacht, bei der ich die Leute gebeten habe, mir ein paar Songs aufzuschreiben, bei denen sie emotional sehr berührt werden, lachen, weinen, ausrasten oder was auch immer. Das Ergebnis war megaspannend für mich, weil ich einige neue Songs entdeckt habe, die mich auch mitgerissen haben. Andere wieder haben in mir nichts ausgelöst und bei ein paar Songs konnte ich gar nicht nach verstehen, was einen daran so vom Hocker hauen soll – so unterschiedlich ist das eben. Ich habe erst überlegt, diese Liste zu veröffentlichen, aber das gibt ja nur wieder, was Leute in meinem Umkreis gerne hören. Mach doch mal selber eine Umfrage bei deinen Freunden, in der Familie oder auch bei Leuten, die dir gar nicht so nah sind. Oder setz dich mit Freunden zusammen und spielt euch gegenseitig die emotionalen Lieblingssongs vor.
Wenn du dich noch ein bisschen mehr mit dem Thema beschäftigen willst, dann hör dir mal verschiedene Sänger und Sängerinnen an und versuche herauszufinden, wie die das überhaupt schaffen, mit ihrer Stimme Gefühle zu vermitteln.Was passiert in puncto Lautstärke und Tonhöhe, was macht der Stimmklang und hörst du neben dem Gesang auch andere Stimmsounds wie Atmer, Schluchzer, Schreie usw.? Oder kannst du dir den Zauber oder die emotionale Wirkung eines Sängers gar nicht so richtig erklären? Vielleicht gibt es ja auch sowas wie einen X-Faktor, also etwas, was mitschwingt, aber gar nicht richtig greifbar ist.
Spannend ist es auch, sich ein und denselben Song von verschiedenen Sängern*innen anzuhören. Hier vier krasse Beispiele als Anspieltipps: "Smells like Teen Spirit" gesungen im Original von Kurt Cobain, dem Sänger der Band Nirvana gibt es in einer total verwandelten Coverversion von Tori Amos. Den Evergreen "My way" einmal in der bekannten Version vom Jazzsänger Frank Sinatra im Vergleich mit der Version vom Punker Sid Vicious und die Ballade "Always on my mind" in der schmachtenden Version von Elvis und der Popversion der Pet Shop Boys.
Jedes Genre hat auf jeden Fall auch eine eigene Art, Gefühle zu transportieren. Liebeskummer z.B. klingt in einem Schlager ganz anders als in einem Soulsong, einer Rockballade oder einem Folktune.
Das war’s erst mal für heute, in weiteren Folgen werde ich bestimmt noch einiges mehr erzählen zu weiteren Voraussetzungen fürs ausdrucksstarke Singen, wie z.B. den Mut, Fehler zu machen.
In Folge 2 geht es erst mal um Stimmtechnik und Gesangsausdruck und wie und ob sich die beiden unterstützen oder auch im Weg stehen können.
Wenn du Lust hast auf konkrete Übungen, mit denen du deine Ausdruckskraft stärken kannst, dann empfehle ich dir mein Buch „Live your song“ und meine kostenlosen Tutorials, beides findest du unter www.liveyoursong.de.
Über Weiterempfehlungen dieses Blogs, z.b. Bei Instagram, freue ich mich natürlich sehr, danke fürs Zuhören!
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